Erdäpfelgulasch nach H.C. Artmann
"Vor einigen tagen unterhielt ich mich mit einem ungarischen freund über die orthodoxe zubereitung von erdäpfelgulasch, über paprikas krumpli, wie er es bezeichnete (was für mich schon eine nicht geringe zumutung war). Und obschon er im prinzip mit mir übereinstimmte, so hatte er dennoch die eher abwegige ansieht, etwas gemahlenen kümmel und pfeffer als unerläßlich zu finden, ja, er mißbilligte sogar das bestäuben der gewürfelten erdäpfel mit mehl! Das gulasch müßte, so sagte er, klar und durchsichtig wie eine consomme sein! Nein, nein, und abermals nein! Vielleicht fand sein vernacularer geschmack das reizvoll, allein mit feiner cuisine hat das nichts mehr zu tun. Völlig abzulehnen sind allerdings ungewürfelte, wenn auch kleinste erdäpfel, wie sie Senor Sarten, der koch Alphons XIII., in seinem ansonst hochinteressanten memoirenwerk Cuarenta anos despues beschreibt. Dieser nicht unbegabte mann berichtet doch tatsächlich über die von ihm ersonnenen patatas revolucionarias o golaches, ich zitiere: Peladas bastante cantidad de patatas lo mäs pequenas posible, se lavan y escurren bien, se guisan como las demäs en un frito de cebolla, ajo y tomate (sie!). Knoblauch und paradeiser und ungewürfelte erdäpfel! Kein wunder, daß bei dieser revolutionären küche die spanische monarchie zugrunde gehen mußte...
Ich könnte gewiß noch dutzende solcher appetitschmälernder rezepte anführen, doch was soll's? Das einzig original spezialerdäpfelgulasch besteht indessen aus drei grundelementen, zwei gewürzen und reinem wasser. Ich berechne die nötigen mengen für zwei mittlere esser:
l kg speckige Erdäpfel
30 dkg Zwiebeln
10 dkg würfelig geschnittenen Bauchfilz (Bauchspeck) / geht auch geräuchterter Tofu
l gehäuften Eßlöffel Paprika (edelsüß und scharf zu gleichen Teilen vermengt)
l gehäuften Teelöffel Salz
heißes Wasser
Man stelle nun zu beginn keinerlei yogaübungen an, allerdings sei man tadellos rasiert, der schnurrbart sei dem anlaß entsprechend gepflegt, man gehe noch einige minuten in den garten, betrachte das rosenrondell, erbaue sich kurz an den narzissen und schwertlilien, mache eine besinnliche runde um den teich, entwerfe tief durchatmend ein kleines gedicht. Darauf begebe man sich heiter lächelnd in die tadellos aufgeräumte küche, binde eine saubere weiße schürze vor, reinige nochmals fingernägel und hände, trockne diese mit einem vorgewärmten frottétuch, zünde die gasflamme an (kein elektroherd!), setze eine gußeiserne casserolle auf das feuer, lasse in dieser den würfelig geschnittenen bauchfilz aus. Inzwischen hat man die zwiebeln feinnudelig geschnitten, füge sie bei und lasse sie im heißen fett schön goldbraun rösten. Ist man so weit, stelle man die casserolle vom feuer und bringe die mit glattem mehl leicht gestaubten erdäpfelwürfel (ca. einen zoll im quadrat) dazu, rühre alles einige male um, stelle die casserolle wieder auf das feuer und warte, nach gelegentlichem umrühren, bis die erdäpfel gut blanchiert sind. Sodann nehme man die casserolle abermals vom feuer und überstreue alles mit dem paprika, rühre wieder um und gieße schließlich heißes, aber nicht kochendes wasser gerade soviel auf, daß die erdäpfel leicht bedeckt sind. Nun salze man nach geschmack und lasse das ganze zugedeckt bei kleiner flamme köcheln. Sind die erdäpfel gar, ist das gulasch praktisch fertig und kann serviert werden (suppenteller!). Wohlhabenderen leuten ist es erlaubt, dem erdäpfelgulasch noch einen schuß madeirawein beizufügen, für damen empfiehlt sich ein eßlöffel süßsaurer rahm (süßrahm mit einem spritzer limonensaft), der bei tische mit einer gabel in der gereichten portion verrührt wird. Dazu ißt man, wenn vorrätig, einige schnitten frisches kümmelbrot."
- H. C. Artmann, Was sich im Fernen abspielt. Salzburg 1995 (zuerst 1982)